Didaktik-Labor, Helmut M. Selzer
 
 

Das Lernen lernen, Teil 1

Ein Ratgeber




In etwa zehn Internet-Kolumnen wende ich mich an junge Lerner (ab dem Alter sie diese Texte lesen können; was sie nicht verstehen, mögen sie mit Eltern oder Lehrern besprechen; nicht aller Text ist für sehr junge Lerner gleichermaßen wichtig), und ich wende mich an Eltern (die meinen, daß die Lernstrategien ihres Kindes noch verbessert werden könnten).

Effizientes Lernen-Können ist heute die allseits erwartete Kompetenz. Sie entscheidet über den Erfolg oder den Mißerfolg in Schule, in der Berufsausbildung, beim Studium. Mit dem 5. Lebensjahr beginnen Eltern damit, ihr Kind in die Geheimnisse des zielgerichteten Lernens einzuführen. Mit 12 Jahren ist jemand bereits ein kompetenter Lerner.

Aber auch später läßt sich an den persönlichen Lernstrategien noch manches verbessern; vorausgesetzt, der Lerner / die Lernerin will sich ernsthaft die Kunst des Lernens aneignen.

Wer überhaupt nicht lernen will, den spreche ich hier nicht an. Diese kleine Minderheit braucht individuellen psychosozialen Beistand (also Hilfe durch ausgebildete Lernberater); denn so ein Kind schließt sich aus der Gemeinschaft der Lerner aus; es ist dabei unglücklich, und die Folgen für jetzt und später sind schwerwiegend.


Jeder auf Einwirkung bedachte Text braucht die Antwort, das Feedback. Wenn Sie verehrte Eltern, wenn du lieber 'Lerner' mir deine Meinungen zum Lernen, etwa persönliche Erfahrungen damit oder deine Wünsche an die künftigen Internet-Kolumnen per eMail oder per Post mitteilst, werde ich gerne darauf eingehen.






Wir wissen es zwar,
aber wir sollten es uns immer wieder klar machen:

* In einer allgemeinbildenden Schule kann nur Weniges und das nur in begrenzter Qualität gelernt werden. Eine allgemeinbildende Schule soll das Lernen lehren. Und damit dies nicht im luftleeren Raum geschehe, bietet sie Sachthemen an, an denen jeder Schüler sein eigenes Lernen erlernen und seine Lernmethodik einüben kann. - So sollte es zumindest sein!

* Sachthemen auf Vorrat lernen ist äußerst problematisch: Denn häufig ist ein vor längerer Zeit gelernter Sachverhalt dann nicht mehr gebrauchbar, wenn du bestimmte Fakten daraus wirklich nutzen möchtest: Er ist inzwischen teilweise verdorbenes Wissen, entweder durch den beständigen Wissenszuwachs überholt und durch eigenes Vergessen fehlerhaft geworden. Beim Lernen auf Vorrat sollte man immer auf das Verfallsdatum einer Lernsache achten. Leider wird das selten angegeben.

* Eine Einschränkung ist mir allerdings wichtig: Üben auf Vorrat ist möglich, sinnvoll und sogar sehr wirksam: In der Landessprache gut sprechen, sie verständig lesen und schreiben können, eine Fremdsprache verstehen, sprechen und schreiben können, die mathematischen Grundlagen im Alltag sicher anwenden können, mit 10 Fingern Daten tippen können, ein Musikinstrument spielen, eine gute Ballbeherrschung, Handwerkzeug gebrauchen und viele andere Fertigkeiten können nur durch beständiges Üben fit gehalten werden.

* Der Zwang zum Hinzulernen hört im ganzen Leben nicht mehr auf. Das lebenslange Hinzulernen ist aber die weit bessere Alternative gegenüber dem Auf-Vorrat-Lernen. 'Lernen nach Bedarf' ist sinnvoller als bezugsloses Lernen ohne konkreten Anlaß.

* Effizient und selbstbestimmt lernen ist eine Fähigkeit, die gelernt und bis zur Perfektion geübt werden kann. Effizientes (also wirksames) und souveränes (also selbstbestimmtes) Lernen bilden zusammen die Fähigkeit, die du dein Leben lang brauchen wirst. Es ist vielleicht die wichtigste Kompetenz, die du dir in deiner Kindheit erwerben kannst.

Und gerade um diese Fähigkeit, ich nenne sie Lern-Kompetenz, geht es in den folgenden Beiträgen über 'das Lernen lernen'.


Betrachten wir zunächst den Begriff 'Lernen'

Ich unterscheide verschiedene Prozesse, um den in der deutschen Sprache schillernd vielseitigen Begriff 'lernen' in griffigere Komponenten zu zerlegen:

A Lernen als eine gezielte Begegnung mit neuem Wissen: Lernen ist ein erwartungsvolles Zugehen auf neues Wissen. 'Das will ich erfahren. Das will ich wissen.'

B Lernen als Anwenden von bereits erworbenem Wissen: Das Gebrauchen, das Benutzen von früher erworbenen Kompetenzen, um zunehmend anspruchsvollere Aufgaben lösen zu können. 'Die neue Aufgabe will ich lösen.'

C Lernen als Üben: Durch vielmaliges Wiederholen werden Fertigkeiten, wird Wissen bis zur Geläufigkeit eingeübt. 'Das präge ich mir ein.' Oder: 'Das will ich wie im Schlaf beherrschen.'

D Lernen als kreativer Akt: Etwas produzieren, z.B. ein Referat entwerfen, eine Ansprache vorbereiten, einen Aufsatz ausfeilen, ein Bild zeichnen. 'Das will ich (er)schaffen.'

E Lernen für eine Prüfung: Pauken. 'Dieses Wissen muß ich am X.X. vorweisen können.'
Pauken bedeutet, einen 'Lernstoff' bis zum Prüfungstermin möglichst vollständig eingeprägt und kurzfristig verfügbar zu haben; danach kann er in vielen Fällen wieder vergessen werden. Pauken ist eine Karikatur von selbstbestimmtem Lernen. Aber durch den Zuschnitt unserer deutschen Bildungsinstitute und ihr Prüfwesen ist und bleibt es bis auf weiteres eine millionenfach bestätigte Karikatur. Ohne Pauken erreicht wohl kaum jemand Schulabschlüsse oder schafft Diplome, Staatsprüfungen, akademische Titel.

F Lernen als unbeabsichtigte Begegnung mit neuem Wissen: Wir lernen immer und überall und dabei sehr Unterschiedliches, ob wir es wollen oder nicht.

G Lernen ist überdies eine allgemeine Bedingung für entwickeltes Leben auf dem Planeten Erde. Lernend ereignet sich Leben.

Ich werde in den folgenden Beiträgen auf die Prozesse A bis D näher eingehen.


Noch eine Anmerkung zum 'Lerner'

Junge Menschen, Erziehende, Lehrer, Arbeitgeber, politische Entscheidungsträger, sie haben sehr unterschiedliche Auffassungen über den 'guten' Lerner; sie erwarten von ihm unterschiedliche Lernleistungen. Ein für alle verbindliches Modell gibt es in dieser Gesellschaft nicht.
Da ein jeder ein etwas anderes Bild vom effizienten Lerner hat, will ich meines kurz vorstellen, vor allem, um niemanden in eine Richtung zu locken, die er nicht akzeptiert.

Ich gehe von drei Zielen aus. Ich nehme an,
daß ein junger Mensch
- ein auf Selbstbestimmung bedachter Lerner werden will: Jemand der engagiert lernen will, der zielstrebig lernen will, aber der selber bestimmen gelernt hat, was er lernen will;

- ein ökonomisch planender Lerner werden will: Jemand, der mit seiner Zeit überlegt umgeht, der seine psychische und physische Kraft dosiert einsetzt, der auch an die Kosten denkt, die bei ineffizientem Lernen entstehen können;

- ein Lerner mit Methode werden will: Jemand, der sein Lernwerkzeug beherrscht.

Kann man solche Ziele für einen Siebenjährigen gleichermaßen angeben, wie für einen 18jährigen? Ein siebenjähriges Grundschulkind lernt auf manche Weise anders als ein 18jähriger Fachoberschüler. Das ist nicht bestritten. Aber die Grundannahmen - die eigene Lernphilosophie also - sollten bei beiden weitgehend übereinstimmen. Ein Siebenjähriger muß sie noch nicht selber formulieren können und noch nicht aktiv verfolgen; dafür sind seine Lernanleiter - die Eltern und die Lehrer - da, um ihm diese Erkenntnisse schrittweise zu vermitteln. Wenn sie aber der 14jährige noch nicht verinnerlicht hat, dann wird es meiner Meinung nach höchste Zeit, dies nachzuholen.
Zu diesem Thema werde ich später noch einiges erläutern.





Worüber werde ich in den folgenden Kolumnen schreiben?

Was oben steht, war quasi die Vorrede, um die weiteren Überlegungen besser verstehbar zu machen. Hier nun in wenigen Stichworten die geplante Abfolge.

Wie jeder an sich und an anderen Menschen beobachten kann, gibt es recht unterschiedliche Charaktere was das Lernen betrifft. Für viele, vielleicht für die meisten jungen Menschen, ist Lernen mit der Vorstellung von Müssen verbunden. Das ist eine negative Einstellung; sie beschädigt die Eigenmotivation. Selbstbestimmte Lerner sind bereits von der Zwangsvorstellung des Lernen-Müssens weggekommen und zur aktiven Rolle des Lernen-Wollens durchgestiegen. Zugleich ist es wichtig, daß ein Lerner seine Stärken erkennt und diese nutzt. Am besten ist, er baut seine Stärken weiter aus. Darüber wird in Teil 2 zu lesen sein.

Im 3. Teil befassen wir uns mit dem Rahmen des Lernens. Dabei geht es um persönliche Lernrituale und um die Gestaltung des eigenen Lernumfeldes.

4. Teil. Hier stehen die Lernstrategien im Mittelpunkt: Wie kann ich meine Lernprozesse gut, wie kann ich sie optimal organisieren?

Im Teil 5 geht es um die Verfahren des Lernens, also vorwiegend um Lerntechniken, und im Teil 6 um allgemein gebräuchliche Lernwerkzeuge.

Im 7. Teil wird die Frage neu gestellt: Lernen auf Befehl oder Lernen aus mir selbst heraus? Ein Ziel ist, den Lernanlaß, den Lernvorgang, das Lernergebnis selbst zu steuern, also selber zu managen: Als Selbst-Lern-Manager könnte man diese neue Rolle bezeichnen. Wir werden in dem Zusammenhang auch über Autodidaktik nachdenken, und wir werden erkennen, daß ein Autodidakt in seinen Lernentscheidungen unabhängiger ist als ein geführter Lerner.

Im Teil 8 stelle ich Lernaufgaben für Schüler verschiedenen Alters zusammen.

Literaturhinweise zum Lernen Lernen finden sich dann im 9. Teil.

In einem 10. Teil werden dann all die Aspekte angesprochen, die in der Zwischenzeit durch Zuschriften als Fragen, als Kritik oder als Anregungen den Autor erreicht haben.


Im Abstand von jeweils etwa 15 Tagen werden weitere Folgen von 'Das Lernen lernen' erscheinen.
Dann geht es hier weiter mit
Das Lernen lernen, Teil 2: Sich selbst steuern.


© Helmut M. Selzer     16.11.2004
Ende Teil 1


Widmung: Diese Internet-Kolumne ist für Diana und Maximilian, Matthias und Anna geschrieben.


Referenz: Auch wenn im Text personenbezogene Substantive zumeist maskulin gebraucht werden, sind stets Frauen wie Männer, Mädchen wie Jungen benannt.


Die URL dieses didaktischen Ratgebers lautet:
http://www.didaktik-labor.de/R-Seiten/721a_R_Lernen1a.html


Wer mir eine Nachricht senden will, kann dies gleich hier tun; eMail an selzer@didaktik-labor.de
 



Lernen lernen hat viele Seiten, die zu beachten sind ::
/ Lernen lernen, Teil 1. Begreifen, was Lernen bedeutet.
/ Lernen lernen, Teil 2. Mich selbst steuern.
/ Lernen lernen, Teil 3. Mein Lern-Umfeld.
/ Lernen lernen, Teil 4.1 Mein Lernen organisieren.
/ Lernen lernen, Teil 4.2 Meine Einstellung zum Lernen.
/ Lernen lernen, Teil 6. Mein Lern-Werkzeug.
/ Lernen lernen, Teil 7. Lernen auf Befehl.
/ Lernen lernen, Teil 8. Lern-Aufgaben.
/ Lernen lernen, Teil 9. Literatur-Hinweise.
/ Lernen lernen, Teil 10. Grenz-Bereiche.
/ Lernen lernen, Teil 11. Resümee, Lern-Management.